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Deutscher Volkshochschul-Verband

Die allgemeine Weiterbildung – in neuer Verfassung?

Warum es eine neue Architektur der nationalen Weiterbildungspolitik braucht

Von Dr. Ernst Dieter Rossmann, Ehrenvorsitzender des DVV.

 

Veränderung liegt in der Luft. Die Pandemie hat digitale Kommunikation und digitales Lernen massiv befördert. Erweiterte Lernwelten der Volkshochschulen haben – auch aus der Not gebo ren – einen gewaltigen Schub bekommen. vhs-Leitungen, Dozentenschaft und Teilnehmende stellen sich der neuen Situation. Mit Kreativität, hoher Lernbereitschaft und auch – ja – mit unerschütterlichem Optimismus und Leidensfähigkeit.

Die Angebote der Lernplattformen im Internet werden aufgerufen wie noch nie. Das Bewusstsein setzt sich durch, dass nach der Pandemie vieles wieder so werden muss, wie allgemeine Weiterbildung und Volkshochschule bisher gewesen sind, dass aber gleichzeitig die Digitalisierung ein – in allen Risiken und Chancen – zentraler Faktor bei der weiteren Entwicklung von Struktur, Organisation, Inhalten, Didaktik und Methodik der Erwachsenenbildung werden wird.

Zukunftsfähige Weiterbildung braucht Unterstützung

Der DVV und die Volkshochschulen haben sich hierauf konzeptionell gut vorbereitet. Das Digitale Manifest ist auf der Höhe der Zeit und führt darüber hinaus. Mit den „Forderungen der Volkshochschulen für eine zukunftsfähige Weiterbildung in Deutschland“ – dem 6 Punkte-Katalog des DVV für die Arbeit der nächsten Bundesregierung – untermauern die Volkshochschulen die Grunderkenntnisse aus der vhs-Standortbestimmung von 2011, dem sogenannten Blauen Buch:

Gesellschaftliche Entwicklung geht untrennbar einher mit Bildungsprozessen. Technologische Innovationen – von den digitalen Universalmedien bis zur künstlichen Intelligenz – ziehen soziale Innovationen nach sich. Beides muss und kann gestaltet werden. Das Lernen und die Bildung in der sozialen Begegnung und in der Gruppe bleiben aber anthropologische Konstanten und Kern des humanistischen Gedankenguts der Volkshochschulbewegung. 

Dafür stehen die Kernforderungen an das Engagement der Bundesregierung in den nächsten vier Jahren: Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Bildung für nachhaltige Entwicklung, Unterstützung von Alphabetisierung, Grundbildung und Integration sowie Rückhalt für die internationale Zusammenarbeit. Nicht ohne Grund sind aber die Weiterbildung für eine digitalisierte Welt und eine neue Architektur der nationalen Weiterbildungspolitik diesen Forderungen noch vorangestellt.

Zu nennen sind dafür drei zentrale Argumente:

  • Die Zuweisung der allgemeinen Weiterbildung ausschließlich in die Zuständigkeit der Kommunen und der Länder funktioniert nicht mehr, allein schon wegen des Finanzbedarfs für eine allgemein zugängliche, öffentlich verantwortete Weiterbildung mit bester Qualität. Die Volkshochschulen und die allgemeine Weiterbildung insgesamt sind klar unterfinanziert.
  • Die großen Zukunftsaufgaben – wie die sozialökologische Transformation, die Integration von Migration, die Teilhabe durch Bildung und die Bewahrung von Demokratie und Menschenrechten – benötigen Bildungseinrichtungen, die tief in die Gesellschaft hineinwirken können. Aufklärend, vermittelnd, überparteilich, örtlich und regional, freiwillig. Die Institutionen in der Demokratie brauchen eine solche Bildungspartnerschaft. Dann müssen sich die politischen Kräfte auch aktiv, auf allen politischen Ebenen gemeinsam für diese Partnerschaft interessieren und diesen strategischen Partner pflegen.
  • Die Genetik der Digitalisierung kennt weder Biedermeier noch Kleinstaaterei. Digitalisierung sprengt Grenzen. Digitale Bildung schafft Erreichbarkeit für mehr Menschen denn je, überall und zu jeder Zeit. Sie baut ein Universum an Lernstoffen und Bildungsinhalten auf und steht zugleich in der Gefahr von Missbrauch, Fake und Ideologie. Auch hierfür braucht es eine neue Architektur von Zugänglichkeit, Qualitätssicherung, Zertifizierung, Medienbildung und Fachberatung.

Wachsende Mehrheiten für eine gesamtstaatliche Bildungsverantwortung

Diese Argumente, wie sie nicht zuletzt von den Volkshochschulen im letzten Jahrzehnt immer präziser und immer nachdrücklicher in die Debatte eingebracht worden sind, stoßen auf eine zunehmende Aufgeschlossenheit bei den Regierungen und in den  Parteien.

Nachdem die Kultusminister-Konferenz im Dezember 2016 noch eine Strategie„Bildung in der digitalen Welt“ ohne ein Kapitel zur Weiterbildung vorgelegt hat, wurde dieses schon ein Jahr später dann doch noch ergänzt. Aktuell ist bei der KMK ein Positionspapier zur Initiative Digitale Weiterbildung in Arbeit. Konkrete Fördervorschläge in den vier Handlungsfeldern Digitale Infrastruktur und Ausstattung, Bildung zur digitalen Kompetenzentwicklung, Fortbildung und Qualifizierung sowie Austausch und Vernetzung für die allgemeine Weiterbildung stehen da zur Beratung. Die zeitliche Perspektive reicht bis 2025. Und das gedacht im engen Zusammenwirken von Bund, Ländern, Kommunen und Trägern.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und Dr. Ernst Dieter Rossmann in einer Sitzung des Bildungsausschusses im Bundestag

Auch wenn der Bund sich bisher auf ein 6,5 Milliarden Investitionsprogramm zur digitalen Bildung für die Schulen konzentriert hat, engagiert sich das Bundesministerium für Bildung sehr positiv mit zweistelligen Millionenbeträgen beim Aufbau von zielgruppen-orientierten Lernplattformen des DVV und  erarbeitet systematisch eine Nationale Bildungsplattform für das Jahr 2023. Diese soll alle Abschnitte der Bildungsbiographie – vom Schulkind bis zum Rentner – ansprechen, so Bundesbildungsministerin Anja Karliczek bei dem Startschuss zu diesem Projekt im April 2021. Befördert werden sollen der Bau der notwendigen digitalen Infrastrukturen, die Entwicklung von digitalen Lernwerkzeugen, die Qualifizierung von pädagogischen Fachkräften und zeitgemäße Inhalte und Methoden, so das BMBF in seiner Bekanntmachung.

Schließlich ist auch die europäische Ebene nicht zu vergessen. Die Weiterbildung und Digitalisierung wird von der EU zu einem zentralen Bestandteil ihrer Agenda für den europäischen Bildungsraum 2025 ausgerufen. In ihrer Aufbau- und Resilienzfazilität ARF – dem größten Ausgabeninstrument des Aufbauplans„Next Generation EU“ – im Umfang von 680 Milliarden Euro bildet die Digitalisierung der Bildung einen der sechs Schwerpunkte, Weiterbildung eingeschlossen.

Aus dieser Situation muss jetzt auch politisch etwas gemacht werden. Wenn schon der Vorsitzende der CDU/CSU–Bundestagsfraktion kürzlich zu einer „Revolution“ der föderativen Ordnung und Begrenzungen aufgerufen und in der„Welt am Sonntag“ am 21. Februar dieses Jahres mit Blick auf die Bildungspolitik gefordert hat, „die einzelnen Ebenen vom Bund bis zur Kommune besser miteinander (zu) vernetzen,“ sollten sich Mehrheiten für eine neue gesamtstaatliche Bildungsverantwortung für alle Abschnitte der Bildungsbiographie und damit auch für die allgemeine Weiterbildung finden lassen. Eine entsprechende Verfassungsänderung gehört dann zwingend dazu.

Digitalisierung muss zur hochrangigen Gemeinschaftsaufgabe werden

Konkret: Gegenwärtig lässt das Grundgesetz noch keine Investitionen des Bundes in die Einrichtungen der allgemeinen Weiterbildung zu. Investitionen in die „kommunale Bildungsinfrastruktur“ sind ausdrücklich auf Kitas, Schule und berufliche Bildung begrenzt. Das muss geändert werden, denn der Investitionsbedarf auch in der Infrastruktur der kommunalen Weiterbildung ist groß, und er ist unteilbar. Aktuell dürfen Bund und Länder Wissenschaft, Forschung und Lehre sowie berufliche Bildung und Weiterbildung zusammen fördern. Zur allgemeinen Weiterbildung darf der Bund nur Forschung fördern und deren Leistungsfähigkeit im Nationalen Bildungsbericht beschreiben und analysieren. Weshalb darf er nicht auch die Leistungsfähigkeit direkt fördern?

Und schließlich: Das Grundgesetz kennt hochrangige Gemeinschaftsaufgaben in der gemeinsamen Verantwortung von Bund und Ländern. Wie die Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur und die Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes. Wenn die Digitalisierung für die Zukunft wirklich so zentral in allen Lebensbereichen werden sollte, wie vielfach beschworen (und das als ergänzendes Medium in allen Abschnitten der Bildungsbiographie), muss man auch über eine Gemeinschaftsaufgabe Digitalisierung nachdenken dürfen.

Das ist gewiss viel Verfassungspolitik. Nur Verfassungen setzen Handlungsrahmen für die Gestaltung der Zukunft. Weil „Volkshochschulen kompetente, innovationsfreudige Bildungseinrichtungen sind, die das Prinzip des Lebenslangen Lernens praktisch umsetzen“, wie im Blauen Buch resümiert wird, müssen sie auch lernen, für solche Vorschläge aus der Sache heraus überzeugend zu werben. So wie die verantwortlichen Fraktionen und Abgeordneten in den Parlamenten lernen müssen, was jetzt für eine Bildungspartnerschaft pro Weiterbildung geändert werden muss. 

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