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Deutscher Volkshochschul-Verband

Lehrkräfte als Change Agents

Einblick in die Lehrkräftefortbildung „Bildungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent begegnen“

Wie kann man eine wertschätzende, integrative Lernatmosphäre für Geflüchtete schaffen?

Migrationsprozesse verändern und formen Gesellschaften und wirken sich daher auch stark auf Bildungssysteme aus – so auch auf die Teilnehmer*innen-Struktur von Erwachsenenbildungskursen. In der Arbeit mit der sehr heterogenen und schutzbedürftigen Gruppe rückkehrinteressierter Geflüchteter ergeben sich verschiedene Herausforderungen für den Unterricht, wie die zunehmende Vielfalt im Klassenraum, Sprachbarrieren, Unterschiede im Bildungshintergrund und der Umgang mit psychosozialem Stress. Die Fortbildung „Bildungsbrücken bauen – interkulturellen und psychosozialen Herausforderungen im Unterricht mit rückkehrinteressierten Geflüchteten kompetent begegnen“ eröffnet einen Raum, in dem Lehrkräfte und Coaches ihre Rolle als Erwachsenenbildner*innen reflektieren können und Methoden an die Hand bekommen, wie sie ihren Unterricht partizipativ und integrativ gestalten können. Sie  erfahren mehr über den Einfluss kultureller Prägungen sowie dessen Grenzen, den Umgang mit ungleichen Machtverhältnissen, Stereotypen und Vorurteilen im Unterricht sowie der Bedeutung von Sprache und Sprachgewohnheiten. Darüber hinaus wird diskutiert, wie man mit Traumatisierungen und psychosozialen Problemen im Unterricht umgeht, die durch eine eventuelle Rückkehr ausgelöst oder verstärkt werden können. Der Schwerpunkt liegt auf der Schaffung einer gemeinsamen Unterrichtskultur und Gruppenidentität sowie auf der Stärkung der Lernenden, um diese in der emotional schwierigen Phase der Rückkehr und Reintegration zu unterstützen.

Die Fortbildung umfasst vier Module mit den folgenden Themenstellungen:

  • Modul 1: Was bedeutet Bildung im Kontext von Migration? Lebenslagen (rückkehrinteressierter) Geflüchteter und das Potential von Bildung verstehen
  • Modul 2: Wer bin ich und wer sind meine Kursteilnehmenden? Meine Rolle als Lehrkraft und meinen Blick auf Geflüchtete reflektieren
  • Modul 3: Wie gehe ich mit psychosozialen Problemen und Stress im Unterricht um? Widerstandskraft bei sich und Kursteilnehmenden aufbauen
  • Modul 4: Wie können wir gemeinsam lernen? Mit interaktiven, partizipativen Methoden den Unterricht gestalten

Ein internationaler Blick auf Flucht und Migration

Die Fortbildung ist im Rahmen eines internationalen Erfahrungsaustauschs in der Erwachsenenbildung im Kontext von Flucht und Migration entstanden. Das Fortbildungskonzept wurde im Rahmen des Projekts „Bildungsbrücken bauen“ von DVV International, dem Institut für Internationale Zusammenarbeit des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, gemeinsam mit einem internationalen Team von Expert*innen aus Jordanien, Palästina, der Türkei und Deutschland entwickelt. Die Fortbildung stützt sich auf Best-Practice-Beispiele aus Empowerment-Bildungsprogrammen mit Geflüchteten in unterschiedlichen Ländern, wo DVV International über Regionalbüros und ein starkes Netzwerk von Partner*innen mit reichhaltigen Erfahrungen auf diesem Gebiet verfügt.

Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Sichtweisen auf Bildung nach Flucht und Vertreibung, auf interkulturelles Lernen und den Umgang mit psychosozialem Stress soll dazu beitragen, Herausforderungen in multikulturellen Lerngruppen und im Prozess der Rückkehr und Reintegration von Geflüchteten zu bewältigen. Die Fortbildung vermittelt Impulse für eine Haltung der wertschätzenden Neugier. Anstatt vorgefertigte Lösungen für die Arbeit mit Lerngruppen aus bestimmten Herkunftsländern vorzugeben, unterstützt sie die Fähigkeit, Lern- und Lehrstrategien auszuwählen, die auf die individuelle Situation der Lernenden eingehen. Damit wird die Gestaltung einer wertschätzenden und sicheren Lernatmosphäre gefördert. 

Vielfältige Materialien für den Unterricht mit Rückkehrenden

Als Ergebnis dieses Prozesses des internationalen Wissenstransfers – darunter eine Studienreise nach Marokko – entstanden umfangreiche Lehr- und Lernmaterialien, auf deren Grundlage in einer ersten Pilotphase deutschlandweit rund 70 Multiplikator*innen und Lehrkräfte von vhs und anderen Trägern rückkehrvorbereitender Maßnahmen fortgebildet wurden.

Die Lehr- und Lernmaterialien – bestehend aus Methoden, Videos und Dossiers – behandeln folgende Themen:

  • Flucht
  • kritisches Weißsein
  • freiwillige Rückkehr
  • partizipative Bildung
  • psychosozialer Stress
  • Kultur und Identität
  • Storytelling
  • Trauma

Zweistufiges Fortbildungskonzept

Die Fortbildung richtet sich an verschiedene Zielgruppen. Innerhalb der ersten Stufe schulen die internationalen Trainerinnen und Trainer, die die Fortbildung entwickelt haben, Multiplikatorinnen und Multiplikatoren im Rahmen eines Train-the-Trainer-Workshops.

In der zweiten Stufe bieten die auf diesem Wege qualifizierten Multiplikatorinnen und Multiplikatoren zweitägige Wochenend-Workshops für Lehrkräfte, Coaches, Trainerinnen und Trainer von rückkehrvorbereitenden Maßnahmen sowie weitere Interessentinnen und Interessenten aus der Erwachsenenbildung mit Geflüchteten an. Die Multiplikatorinnen und Multiplikatoren führen, wie auch die internationalen Trainerinnen und Trainer, ihre Schulungen in Tandem-Teams durch. Das in der Fortbildung Erlernte setzen die Lehrkräfte und Coaches dann in der Durchführung der Kurse für rückkehrinteressierte Geflüchtete ein.

Lernen durch Perspektivwechsel und Ausprobieren

Die Teilnahme an der Fortbildung soll zu einem Perspektivwechsel bei Lehrkräften hinsichtlich des von ihnen durchgeführten Bildungsangebots und ihrer beruflichen Rolle in diesem Kontext führen. Das Training eröffnet einen Raum, in dem sie mehr über den Prozess der Rückkehr sowie die Bedürfnisse, Lebenslagen und den emotionalen Zustand ihrer Teilnehmenden erfahren. Es ist anwendungsorientiert und basiert auf der Idee des „Learning by doing" (Lernen durch unmittelbares Anwenden) oder des „Walk the talk" (Gesagtes in der Praxis umzusetzen). Durch eigenes Erleben und Reflektieren lernen die Lehrkräfte, ihren Unterricht partizipativ und integrativ zu gestalten, damit sich alle Lernenden unabhängig von ihrem (kulturellen) Hintergrund beteiligen können. 

Die Fortbildung richtet sich an folgenden vier Kernkompetenzen aus. 

Nach der Teilnahme an der Fortbildung sind die Lehrkräfte und Coaches in der Lage…

  • den Kontext von Vertreibung, Rückkehr und Reintegration und dessen Auswirkungen auf die Lernenden zu verstehen und zu erklären;
  • ihre eigene Rolle als Lehrkraft und die Erfahrungen und Hintergründe der Lernenden in einer multikulturellen Lernumgebung zu reflektieren;
  • Anzeichen von psychosozialem Stress zu erkennen und grundlegende Strategien für die Unterstützung der Lernenden bereitzustellen;
  • eine sichere und wertschätzende, gemeinsame Unterrichtskultur zu schaffen, die die Selbstbestimmung und Handlungskompetenz der Teilnehmenden fördert.

Die Veranstaltung war in allen Teilen sehr informativ, bestens vorbereitet und sehr gut moderiert. Ein besonderer Dank für das umfangreiche Begleitmaterial, das ich sehr gut in meinem Berufsalltag nutzen kann.

Rückmeldung Teilnehmer*in

Lehrkräfte können durch eine reflektierte Grundhaltung und die Schaffung einer wertschätzenden, gemeinsamen Gruppenatmosphäre einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Selbstbestimmung und Handlungskompetenz Geflüchteter zu fördern. Das Lernumfeld soll ein sicherer Ort sein, an dem die Lernenden das Gefühl haben, dass ihnen zugehört wird und ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden. Es sollte die Lernenden in ihrem Lern- und Anpassungsprozess an ihre neue Realität unterstützen, die möglicherweise keine Zukunftsperspektive in Deutschland beinhaltet.

Die sichere Lernatmosphäre wird durch die Kontinuität der Kurse, wiederkehrende Routinen im Ablauf, die Verfügbarkeit eines eigenen Freiraumes, der für Frauen besonders wichtig ist, sowie durch die persönliche Verbindung zu anderen Teilnehmenden gewährleistet. Durch den Einsatz partizipativer Methoden und den Aufbau einer wertschätzenden, sicheren Unterrichtskultur werden Geflüchtete von passiv Abwartenden zu aktiv Handelnden. Diese Erfahrungen aus dem Klassenraum ermutigen sie dazu, ihr Leben, auch im schwierigen Feld des Rückkehr- und Reintegrationsprozesses, mitzugestalten und zu lenken. 

Insgesamt hat mir die Fortbildung gut gefallen. Methodisch war sie hervorragend gestaltet, auch habe ich viel dazugelernt und der Austausch mit den Kolleg*innen war sehr bereichernd.

Rückmeldung Teilnehmer*in

Mit welchen Ansätzen arbeitet die Fortbildung?

Die Fortbildung basiert in ihrem Konzept und den ausgewählten Methoden auf folgenden Ansätzen, die das Ziel haben, die Handlungs- und Entscheidungsmacht sowie Teilhabe Geflüchteter zu stärken – im Unterricht wie auch darüber hinaus:

  1. der Ansatz der partizipativen Bildung, 
  2. der Ansatz der Diversität und Multikollektivität und 
  3. der Ansatz des traumasensiblen Klassenzimmers.

Die Ansätze stammen aus verschiedenen Teilen der Welt. Sie wurden jeweils entwickelt, um unterschiedlichen Realitäten gerecht zu werden und stellen verschiedene Aspekte menschlicher Lebensrealitäten in den Vordergrund. Der partizipative Bildungsansatz wurde in Lateinamerika von dem brasilianischen Pädagogen Paulo Freire als Werkzeug zum Empowerment von nicht alphabetisierten Bäuerinnen und Bauern entwickelt, die unter Unterdrückung und Marginalisierung litten. Er befähigte sie, ihre Realität zu verändern und an Entscheidungen mitzuwirken, die ihr Leben beeinflussten. Dieser Ansatz stellt die Lernenden als kompetente, aktive und respektierte Menschen in den Mittelpunkt des Lernprozesses. Diversität und Multikollektivität untersuchen den Begriff der Identität in immer vielfältigeren Gesellschaften, in denen wachsende globale Migration zu erheblichen Spannungen zwischen verschiedenen Multikollektivität untersuchen den Begriff der Identität in immer vielfältigeren Gesellschaften, in denen wachsende globale Migration zu erheblichen Spannungen zwischen verschiedenen kulturellen Gruppen führt. Der Ansatz der Multikollektivität bietet eine Alternative zu alten kulturellen Paradigmen. Das traumasensible Klassenzimmer trägt der Entwicklung Rechnung, dass sich in Bildungskursen immer mehr Teilnehmende mit Traumatisierungen und psychosozialen Belastungen widerfinden. Dies hat Einfluss auf den Kursverlauf und die Lernatmosphäre und verändert auch die Anforderungen, die sich an Lehrkräfte stellen. Die Vermittlung einer traumasensiblen Haltung sowie der Einsatz traumasensibler Methoden und Prinzipen im Unterricht kann Widerstandskraft bei Lernenden wie auch Lehrkräften aufbauen.

Die Trainer*innen haben eine sehr angenehme Lernatmosphäre geschaffen, sodass stets ein inhaltlicher Austausch auf Augenhöhe stattfand.

Rückmeldung Teilnehmer*in

Andere Praxisbeispiele

Erläuterungen und Hinweise

Bildnachweise

  • Foto Prasch
  • Stephanie Becker / DVV
  • Meike Woller / DVV
  • Meike Woller / DVV
  • Meike Woller / DVV