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Deutscher Volkshochschul-Verband

"Vielfalt nicht nur in Bezug auf Angebotsformen und Kursinhalte leben"

Im Rahmen des Jahresschwerpunktes "Zusammen in Vielfalt" haben wir Volkshochschul-Mitarbeiter*innen interviewt und sie zu den Themen Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt befragt. Der nächste Teil der Serie mit Stefanie Indefrey, sie leitet die Volkshochschule in Ludwigshafen am Rhein.

Interviewreihe "Zusammen in Vielfalt"

Mit dem Jahresthema „Zusammen in Vielfalt“ machen Volkshochschulen im Jahr 2022 die Vielfalt ihrer Einrichtungen sichtbar und entwickeln sie weiter. Denn unsere Gesellschaft ist bunt: Menschen mit unterschiedlichen Biografien, Fähigkeiten und Lebensrealitäten prägen das Zusammenleben in unserer Gesellschaft und unsere Arbeit an den Volkshochschulen. Diese Vielfalt bietet Chancen und Potenziale. Studien zeigen: Dort, wo Vielfalt gefördert und gelebt wird, ist auch der Zusammenhalt stark. 

In den kommenden Monaten stellen wir Volkshochschulen und ihre Mitarbeiter*innen vor, die sich am Jahresschwerpunkt beteiligen. Das nächste Interview führt uns in den Südwesten der Bundesrepublik mit Stefanie Indefrey von der vhs Ludwigshafen am Rhein.

Stefanie Indefrey, Leiterin vhs Ludwigshafen am Rhein

Was verbinden Sie mit dem Schwerpunktthema „Zusammen in Vielfalt“?

Da ich aus der beruflichen Bildung komme, verbinde ich mit dem Thema vor allem die Vorteile, die sich nachweislich aus divers zusammengesetzten Belegschaften ergeben. In diesen entsteht mehr Kreativität und die Fähigkeit zu Problemlösungen ist ausgeprägter. Entscheidend dafür sind unterschiedliche Fähigkeiten, Sichtweisen und auch fachliche sowie sprachliche Kompetenzen, die bestenfalls aus verschiedenen Herkunftsändern stammen. Im betrieblichen Kontext ist Vielfalt ein Wettbewerbsvorteil.

Als Kind von Flüchtlingen der zweiten und dritten Generation aus Schlesien, Pommern und Sachsen und als Kind des Ruhrgebiets ist mir das Thema Vielfalt in die Wiege gelegt worden. Das Ruhrgebiet ist von jeher ein Schmelztiegel für Menschen, die sich und ihren Kindern eine Zukunft aufbauen wollen. Für mich ist es daher völlig normal, mit Menschen unterschiedlichster Herkunft in einem Gemeinwesen zu leben. Im Ruhrgebiet ist ein guter Kumpel, wer fleißig arbeitet, freundlich und hilfsbereit ist. Alles andere ist zweitrangig. Das hat mich geprägt und wahrscheinlich fühle ich mich deshalb auch in Ludwigshafen so wohl.

Die Diversitätsdimensionen, Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Ethnische Herkunft und Nationalität, Religion und Weltanschauung, Behinderung und soziale Herkunft erweiterten den Blick in alle Richtungen, die an sich schon das Grundgesetz vorgegeben hat. 

Inwieweit sind Diversität und gesellschaftlicher Zusammenhalt zentrale Bildungsaufgaben für (Ihre) Volkshochschule?

Volkshochschulen sind in ihrer Arbeit allen Bürger*innen verpflichtet und deren Bildungsbedarfen. Insofern hat jede Volkshochschule den Auftrag, wissenschaftlich fundierte Angebote für vielfältige Lebenssituationen und Interessen einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft zu machen. In unseren Kursen lernen alle Menschen zusammen, die ein gemeinsames Lernanliegen haben. Da eine moderne Unterrichtsdidaktik nicht vom Frontalunterricht lebt, sondern kollaborative Lernformen wie Partner- und Gruppenarbeit, das Unterrichtsgespräch und gegenseitige Hilfestellung fördert, wird in den Kursen immer auch miteinander gelernt.

Insofern ist es uns ein wichtiges Anliegen, Vielfalt nicht nur in Bezug auf Angebotsformen und Kursinhalte zu leben, sondern auch auf eine vielfältige Zusammensetzung unserer Kursteilnehmenden. Direkte persönliche Kontakte zu Menschen, die einem im eigenen beruflichen oder familiären Umfeld vielleicht sonst nicht begegnen, waren und sind schon immer der Schlüssel zu Akzeptanz, Freundschaft und damit auch zu gesellschaftlichem Zusammenhalt. Deshalb ist es wichtig, die Volkshochschule auch als attraktiven Treffpunkt zu gestalten, damit neben dem gemeinsamen Lernen auch informelle und ungesteuerte Zusammenkünfte möglich sind, ein sogenannter „dritter Ort des Lernens“ entsteht. Da ist noch viel zu tun.

Mit welchen Projekten / Bildungsangeboten reagieren Sie gezielt auf diesen Bedarf (kurze Projektskizzen, vorläufiges Fazit)?

Die Stadtverwaltung Ludwigshafen befindet sich in einem von der Stadtspitze geförderten Prozess, Diversität bewusster als bisher in den Vordergrund zu stellen und als Vorteil wahrnehmbar zu machen. Aus dem Integrations-Projekt „Wir alle sind Lu“ ist der „Chancen Check Lu“ entstanden, ein Werkzeug zur Selbstevaluierung der Diensterbringung an den Bürger*innen, welches aktuell in der gesamten Stadtverwaltung eingesetzt wird. Ziel ist es, die Serviceleistungen der Stadtverwaltung besser als bisher an eine vielfältige Stadtgesellschaft anzupassen und barrierefreier zu machen. Das fängt bei einfacher Sprache statt Behördendeutsch an und hört bei englischen Übersetzungen auf der Homepage oder dem Einsatz von Sprachmittlern nicht auf.

Als vhs haben wir die Zugewanderten, die in unseren Deutschkursen sitzen, gefragt, welche Kursangebote sie außer Deutsch interessieren würden und berücksichtigen diese Wünsche in der Programmplanung. Viele waren ganz erstaunt, dass wir noch etwas Anderes als Deutsch anbieten, obwohl ja die Programmhefte immer im Haus ausliegen. Inzwischen ist unser Programmheft auch Unterrichtsthema in den Deutschkursen.

Außerdem machen wir gezielt neue Angebote für jüngere, für ältere und für in ihrer geschlechtlichen Identität vielfältige Menschen wie einen Schreibworkshop für FLINTA*s, eine „Paisley-Party“ und einen Vortrag über Verfolgungen von Menschen aus dem LSBTI*-Spektrum als Teil der Feierlichkeiten anlässlich 75 Jahre Bundesland Rheinland-Pfalz. Diese drei Angebote sind in das Begleitprogramm zur Ausstellung des Stadtmuseums „Aus dem Schatten ins Licht-Starke Frauen aus 1000 Jahren Pfälzer Geschichte“ eingebettet, die wir in der vhs zeigen, um die Vielfalt weiblicher Lebensentwürfe und Lebensleistungen in der Geschichte zu zeigen. 

Unser inhaltliches Spektrum haben wir mit den „Glaubensexpeditionen“ um religiöse und spirituelle Themen erweitert und für das nächste Jahr haben wir uns die Erweiterung auf inklusive Bildungsformate vorgenommen.

Mit dem Projekt „Glaubensexpeditionen“ verfolgen wir einen ganzheitlichen Bildungsbegriff, denn Bildung umfasst nicht nur Wissensvermittlung und das Erzielen von Abschlüssen, der soziale Aspekt des Lernens, die Begegnung mit anderen Menschen zur Erweiterung des Verstehens und Wissens von Welt sind genauso wichtig. Mit den Glaubensexpeditionen wollen wir die Vielfalt der friedlich in der Metropolregion nebeneinander lebenden Glaubensgemeinschaften gemeinsam erkunden und zu Begegnung und Austausch über Spiritualität einladen. Dabei sind uns freundliche Offenheit und gegenseitiger Respekt in der Begegnung sehr wichtig, eben ein „Zusammen in Vielfalt!

Welche Herausforderungen stellen sich bei der Durchführung von Projekten und Kursangeboten im Themenbereich Vielfalt und Zusammenhalt?

Die größte Herausforderung ist sicher, den Blick zu weiten, die anvisierten Zielgruppen in die Programmplanung mit einzubeziehen und auch, dabei mutig zu sein und wirklich ganz Neues auszuprobieren. Die Finanzierung ist natürlich ein Thema, was bei inklusiven Angeboten virulent wird. Menschen mit Beeinträchtigungen haben meist ein geringes Einkommen, Gebärdensprachdolmetscher beispielsweise sind jedoch sehr teuer. Daher können wir höhere Kosten bei der Kursdurchführung nicht einfach auf die Gebühren aufschlagen. Dazu bräuchten wir Fördermittel und zwar auf Dauer, um ein nachhaltiges Angebot dauerhaft etablieren zu können.

Wie können Volkshochschulen ihrem Leitspruch „Bildung für alle“ gerecht werden?

Nur mit einer auch weiterhin verlässlichen Bezuschussung und, wie eben ausgeführt, weiteren Zuschüssen für inklusive, barrierefreie, zum Teil kostenlose Angebote. Sonst kann der Auftrag nicht in Gänze erfüllt werden.

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Bildnachweise

  • Martin Hartmann, pressemartin@mac.com