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Deutscher Volkshochschul-Verband

Digitaler Deutsch-Unterricht – was bleibt nach der Corona-Krise?

Ein Interview mit Dr. Marion Grein, Universität Mainz

Dr. Marion Grein leitet an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz den Masterstudiengang Deutsch als Fremdsprache. Sie hat mit ihren Studierenden dazu geforscht, wie Lehrkräfte und Institutionen in der Pandemie mit der Umstellung auf digitalen Deutschunterricht umgegangen sind. Wir haben sie zu den Erkenntnissen der Studien befragt und wollten wissen, ob die Pandemie den Unterricht ihrer Meinung nach nachhaltig verändern wird. 

| Frau Dr. Grein, Sie beschäftigen sich schwerpunktmäßig mit digitaler Lehre. Wie definieren Sie diese? 

Dr. Marion Grein: Vor der Pandemie hat man unter digitaler Lehre in der Regel das Umsetzen von Blended- Learning-Konzepten verstanden. Man hat überlegt, wie man Präsenz- und virtuellen Unterricht miteinander verknüpfen kann. Durch die Erfahrungen der Pandemie ergeben sich für mich jetzt drei, wenn nicht sogar vier unterschiedliche Modelle digitaler Lehre: Als erstes wäre da der Blended-Unterricht, das heißt synchrone und asynchrone Phasen, die sich abwechseln, manchmal in Präsenz, manchmal virtuell. Unter digitaler Lehre kann man aber inzwischen auch rein virtuellen Unterricht verstehen – viele Lehrkräfte sagen mittlerweile, dass sie diese Art des Unterrichtens ganz toll finden. Und dann gibt es den Hybrid- Unterricht, bei dem die Teilnehmenden, die virtuell teilnehmen möchten, über den PC zugeschaltet werden, während die anderen im Präsenzunterricht sitzen. Als viertes Modell haben wir die Präsenzlehre, in der aber verstärkt digitale Tools zum Einsatz kommen.

| Für welche Fragen interessierten Sie und Ihre Studierenden sich bei Ihren Untersuchungen besonders?

Unsere Hauptfragen waren zunächst, mit welchen besonderen Herausforderungen die Institutionen und Lehrkräfte in der Pandemie zu tun hatten und wie es um deren digitale Kompetenz bestellt war. Außerdem wollten wir herausfinden, was sie aus ihren Erfahrungen während der Corona-Zeit für sich und ihren Unterricht mitnehmen und was sie sich für die Zukunft wünschen.

| Wie sind Sie bei Ihren Studien vorgegangen? 

Wir haben sowohl Schulen als auch Volkshochschulen, Goethe-Institute und unterschiedliche Sprachschulen betrachtet und dabei viele verschiedene Methoden herangezogen: Zum einen haben wir ganz klassisch Fragebogenstudien durchgeführt, zum anderen aber auch mehr als sechzig Interviews geführt, eine digitale Pinnwand bereitgestellt, auf der die Studienteilnehmer anonym von ihren Erfahrungen berichten konnten, wir haben Hospitationen gemacht und relativ große Umfragen in Webinaren durchgeführt, sodass wir insgesamt weit über achttausend Einzeldaten erhoben haben.

| Was sind die zentralen Ergebnisse in Bezug auf die einzelnen Fragestellungen? Beginnen wir doch mit den Herausforderungen. 

Die größte Herausforderung für die Institutionen war am Anfang die Technik. Hier mussten schnell Entscheidungen getroffen werden. Damit wurde ganz unterschiedlich umgegangen, da gehen die Ergebnisse weit auseinander: In einigen Institutionen hat man inzwischen Hybridräume. Dort gibt es oben an der Decke Freisprecheinrichtungen, und die Räume sind mit Kameras ausgestattet, die schwenken und jeweils die sprechende Person aufnehmen, während die virtuell Teilnehmenden mit großem Bild zugeschaltet werden. An anderen Institutionen hingegen hat man sich mehr oder weniger bemüht, WLAN bereitzustellen und zu überlegen, mit welchem Konferenz- Tool man arbeiten möchte. Eine weitere Herausforderung war, die eigenen Lehrkräfte bei der Umstellung mit ins Boot zu holen.

| Und mit welchen Herausforderungen hatten die Lehrkräfte zu kämpfen?

Die Lehrkräfte sind eigentlich nie richtig auf den digitalen Unterricht vorbereitet worden. Während wir im Masterstudiengang Deutsch als Fremdsprache schon seit 2005 das Modul „Digitale Lehre“ anbieten, haben die Studien deutlich gemacht, dass es an fast keiner Institution eine Vorbereitung auf die digitale Lehre gab. Für sehr viele Lehrkräfte hieß digitale Lehre daher nur, dass sie ihren üblichen Unterricht nun via Zoom machten. Sie mussten dann feststellen, dass das nicht zielführend war. Unsere Befragungen an fünf Volkshochschulen haben gezeigt, dass es auch dort relativ wenige Weiterbildungen für die digitale Lehre gab. 93 Prozent der Befragten hatten immer noch große Probleme zu definieren, was guter digitaler Unterricht ist.

| Was macht denn guten digitalen Unterricht aus? Haben Sie ein Erfolgsrezept für uns?

Essentiell für guten digitalen oder auch rein virtuellen Unterricht ist, dass das Soziale nicht in Vergessenheit gerät. Man muss für die Lernenden einen Raum schaffen, in dem sie sich kennenlernen, sich austauschen und ihre Lehrperson treffen können. Für einen Austausch sollte man sich auch zu Beginn des Unterrichts tatsächlich fünf bis zehn Minuten Zeit nehmen. Ganz zentral ist auch, dass man sehr viele nicht digitale Aktivitäten während des virtuellen Unterrichts einbaut, wie etwa „Schnapp die Farbe“. Dabei werden die Teilnehmenden aufgefordert, sich zum Beispiel einen orangefarbenen Gegenstand zu holen, ihn in die Kamera zu halten und zu berichten, was dieser Gegenstand mit ihnen zu tun hat. Darüber hinaus ist es wichtig, nicht länger als dreißig Minuten am Stück mit dem Lehrwerk zu arbeiten. Und wenn man damit arbeitet, sollte man unbedingt die digitale Variante nutzen und das Lehrwerk per Screensharing zeigen. Nach den dreißig Minuten bietet es sich an, Gruppenaufgaben zu stellen, virtuell geht das zum Beispiel gut über Breakout-Räume. Ein guter zeitlicher Rahmen wären hier wieder zwanzig bis dreißig Minuten. Auf jeden Fall sollte man anschließend Feedback geben zu dem, was in den Gruppen geleistet worden ist. Dann wäre wieder Zeit für eine nicht digitale Aktivität, bevor man im Lehrwerk weiterarbeitet.

| Wir haben die Beobachtung gemacht, dass bei vielen Lehrkräften ein Umdenken stattgefunden hat. Viele, die ursprünglich skeptisch waren, möchten nun digitales Lernen weiterführen. Können Sie das bestätigen?

Unsere Ergebnisse spiegeln genau das. Wir haben eigentlich an allen Institutionen gesehen, dass zirka fünfzig Prozent der Lehrkräfte absolut begeistert sind von den digitalen Tools und auch in Zukunft wesentlich stärker digital arbeiten wollen. Sie möchten zum Beispiel Blended Learning praktizieren – also etwa ihren Kurs an zwei Tagen pro Woche virtuell anbieten und an zweien in Präsenz – oder auch andere Konzepte umsetzen. Aber wir haben auch den anderen Teil der Befragten, für die Präsenz das einzig Wahre ist oder die mit dem Digitalen vor allem Probleme und Gefahren assoziieren.

| Was hat man denn aus der Pandemie-Zeit für den künftigen digitalen Unterricht gelernt?

Es hat sich gezeigt, dass digitale Lehre viel besser funktioniert, als man anfangs gedacht hat. Digitale Lehre hat sich für ganz viele als motivierend erwiesen. Sie ist die Lösung für Mütter, die kleine Kinder versorgen müssen, oder für Menschen, die auf dem Land wohnen und längere Anreisen zum Unterrichtsort haben. Digitale Lehre heißt aber auch, dass wir die digitale Kompetenz der Lehrkraft brauchen. Eine zentrale Erkenntnis ist daher, dass man in alle Studiengänge zur Lehrerausbildung mindestens ein Modul zur digitalen Lehre integrieren müsste. Beziehungsweise dass man allen Lehrkräften, die an einer Institution eine Fremdsprache unterrichten wollen, eine Weiterbildung zu digitalen Tools anbieten sollte. Diese dürfte sich nicht auf eine kurze Einführung beschränken, sondern müsste mindestens vierzehn bis fünfzehn Stunden umfassen, um zu vermitteln, wie man mit den digitalen Tools kollaborativ arbeitet.

| Was denken Sie, werden die Erfahrungen aus der Pandemie den Deutschunterricht nachhaltig verändern?

Da bin ich relativ skeptisch. Im Moment ist der große Hype, möglichst schnell wieder zurück in Präsenz zu gehen, und ich befürchte, dass man die Vorteile, die die digitale Lehre vor allem in Blended-Learning-Konzepten bringen kann, nicht weiter berücksichtigt. Dabei müsste die Lesson Learned eigentlich sein, dass Blended-Learning-Konzepte hervorragend funktionieren. Hybrid könnte die Zukunft sein. Wobei ich der große Freund von Blended Learning bin, weil der menschliche Kontakt, der menschliche Austausch, meines Erachtens nicht ersetzt werden kann durch die kleinen Kacheln, die man auf dem Computer hat. Ich bin aber skeptisch, ob sich das tatsächlich so durchsetzen wird.

| Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Ich glaube, es hapert an den Institutionen. Es gibt solche, die von Menschen geleitet werden, die der digitalen Lehre gegenüber sehr offen sind und die versuchen, die Lehrenden dahin zu bewegen, tatsächlich mehr Blended-Konzepte umzusetzen. Es gibt aber genauso Institutionen, bei denen diejenigen, die das Sagen haben, dem digitalen Unterrichten kritischer gegenüberstehen. Sei es, weil sie vor allem mögliche Probleme sehen oder weil sie sich den Traditionen verpflichtet fühlen. Eine entscheidende Rolle spielt dabei natürlich auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das BAMF, das quasi in der Sekunde, als dies wieder möglich war, gefordert hat, zurück in Präsenz zu gehen. Es wünschen sich aber tatsächlich sehr viele Lehrkräfte, dass auch die Integrationskurse zunehmend virtuell angeboten werden. Alphabetisierungskurse, A1-Kurse und Förderkurse für Lernungewohnte möchte man natürlich weiterhin zum großen Teil in Präsenz anbieten. Aber ab A2 bis zu den Berufssprachen können sich viele Lehrkräfte durchaus vorstellen, virtuell zu bleiben. Man müsste also das BAMF davon überzeugen, beides zu ermöglichen: Präsenzkurse, aber auch ein virtuelles Angebot für alle, die das möchten.  

Die Fragen stellte Claudia Zanker (Öffnet in einem neuen Tab), Referentin für Öffentlichkeitsarbeit beim vhs-Lernportal des DVV.

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  • Marion Grein