In einer fünftägigen Projektwoche begaben sich die Teilnehmenden auf eine kreative Zeitreise durch Geschichte, Gesellschaft und eigene Identität. Im Zentrum stand die fotografische Sammlung des Leipziger Fotografen Armin Kühne (1940–2022) (Öffnet in einem neuen Tab), dessen Aufnahmen das Leben in Leipzig in der DDR, insbesondere während der Friedlichen Revolution und Wendezeit dokumentierten. Mit einem partizipativen Konzept, das auf die Medien Fotografie, Theater und Film setzte, übertrugen Schüler*innen historische Quellen in lebendige Ausdrucksformen. „Die Projektidee ist ursprünglich aus der Zusammenarbeit mit dem Masterstudiengang ‚Begabungsforschung und Kompetenzentwicklung‘ der Universität Leipzig und einem universitären Digitalisierungsprojekt hervorgegangen“, erklären Julia Henschler und Antonia Streule, die Projektverantwortlichen an der vhs Leipzig (Öffnet in einem neuen Tab).
Geschichte erleben – kreativ und kritisch
Das Projekt startete mit einer interaktiven Einführung zur DDR-Geschichte, gestaltet von einem Geschichtspädagogen. Anhand einer Stationenarbeit erarbeiteten sich die Schüler*innen ein gemeinsames Grundlagenwissen zu Themen wie Alltag in der DDR, Jugendkultur, Bildung und dem politischen System. Außerdem beschäftigten sie sich in einer weiteren Einheit mit der Einordnung von (Bild-)Quellen. Anschließend wählten sie in einer Gruppenphase einen kreativen Schwerpunkt. Unter fachkundiger Begleitung entwickelten die Schüler*innen eigene Werke – vom Legetrickfilm über eine thematisch sortierte Fotoausstellung bis hin zu einem Theaterstück.
Die Projektstruktur ermöglichte ein hohes Maß an Eigenständigkeit: Die Jugendlichen bestimmten ihre Themen, führten Interviews – beispielsweise mit Familienangehörigen – recherchierten historische Quellen und verbanden diese mit aktuellen Themen aus ihrer Lebenswelt. Mit folgenden Fragen setzten sie sich auseinander: Wie war das Leben in der DDR wirklich? Wie hätte ich damals gehandelt? Was bedeutet Freiheit heute für mich? Diese Fragen führten zu intensiven Gesprächen über Demokratie, Verantwortung und persönliche Haltung – und wurden schließlich in künstlerische Ausdrucksformen übersetzt.
Kreative Zeitreisen: Die Arbeitsergebnisse der Schüler*innen
Die Resultate der Projektarbeit zeugten von Kreativität, kritischer Reflexion und Eigenverantwortung. In der Filmwerkstatt entstanden mehrere Kurzfilme, die mit unterschiedlichen Techniken und Themen arbeiteten:
- „Armin Kühne“ (Legetrickfilm): Ein Erklärfilm über das Leben des Fotografen selbst – visuell umgesetzt mit Papierfiguren, Symbolen und eigenen Illustrationen.
- „Alltag in der DDR und BRD“ (iMovie-Film): Ein Ost-West-Vergleich – persönliche Interviews mit den Eltern eines Schülers, die aus Ost und West stammen, machten Geschichte erlebbar.
- „Die Flucht der Familie Niebank“: Emotional packend erzählten die Schüler*innen mit digitaler Bildanimation die wahre Geschichte einer dramatischen DDR-Flucht.
- „Interview mit Frau U.“: Ein Foto-Film, der Aussagen einer Zeitzeugin kritisch einordnete – und die Bedeutung historischer Quellenreflexion deutlich machte.
- „Die Stasi“: Ein Mix aus Legetrick-, Archiv- und Animationsfilm, der die Überwachung durch die Staatssicherheit und das IM-System anschaulich erklärte.
Die Fotogruppe gestaltete eine Ausstellung mit thematisch sortierten Bildern. Dabei haben die Schüler*innen selbst Bildmotive geplant, teilweise inszeniert und eigenständig nachbearbeitet. Die Auseinandersetzung mit den Fotos ließ die Teilnehmenden über vermeintliche Selbstverständlichkeit alltäglicher Freiheiten reflektieren. Abstrakte Inhalte wurden in zweidimensionale Momentaufnahmen übertragen.Die Ausstellung blieb auch nach Projektende im Schulgebäude präsent. Zu sehen waren:
- Vergleichsbilder von damals und heute (Architektur, Konsum, Schule, Verkehr), die bei einer Exkursion durch die Stadt entstanden sind
- Selbständig formulierte Titel und Begleittexte
- Fotografien politischer Statements – von Gedenkstätten bis zu aktuellen Anti-AfD-Plakaten,
- Bilder heutiger Jugendkultur im Vergleich zur Vergangenheit: Selfies, Bubble Tea, Sushi etc.
„Ein Schüler bemerkte: Ich schaue mir Fotos jetzt mit ganz anderen Augen an und bin dabei viel kritischer" berichten Julia Henschler und Antonia Streule. „Ein anderer sagte: ‚Erst war es voll anstrengend, aber am Ende hat es richtig Spaß gemacht!‘ Das beschreibt den Lernprozess ziemlich gut.“
Das Theaterstück mit dem Titel „Alles Anders!?“ war eine Collage blitzlichtartiger Szenen, die Themen wie Konsum, Freiheit und Popkultur aufgriffen. Die Schüler*innen setzten sich in ihren Rollen mit widersprüchlichen Gefühlen auseinander: der Euphorie über neue Möglichkeiten nach der Wende – aber auch mit Frust und Unsicherheit. Besonders eindrücklich war die finale Szene, in der aktuelle politische Themen der Jugendlichen eingebaut wurden – ein mutiger Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart.
Persönliche Zugänge zur Geschichte finden
Die Vielfalt und Tiefe der Ergebnisse zeigte: Das Projekt ermöglichte weit mehr als nur Wissensvermittlung. Die Jugendlichen lernten, Geschichte kritisch zu hinterfragen, eigene Perspektiven zu entwickeln – und sie in künstlerische Formen zu übersetzen.
Die Schüler*innen arbeiteten mit großem Engagement und Interesse, entwickelten eigene Sichtweisen und reflektierten kritisch über historische Narrative. Viele waren überrascht darüber, wie nah ihnen die DDR-Geschichte eigentlich ist – geografisch, emotional und politisch. Die Rückmeldungen sprachen für sich: „Ich dachte, das wäre schon 200 Jahre her oder so!“, kommentierte ein Jugendlicher aus dem Publikum in der Abschlussveranstaltung. Gerade die Abschlussveranstaltung sei ein Höhepunkt der Woche gewesen, erzählen Julia Henschler und Antonia Streule: „Bei der Präsentation hatten wir alle Gänsehaut.“
Das Projekt war nicht nur ein kreatives Erlebnis, sondern ein gelungenes Beispiel für politische Jugendbildung. Es förderte nicht nur Medienkompetenz und Teamarbeit, sondern auch demokratische Haltungen: Offenheit, kritisches Denken und die Fähigkeit, eigene Meinungen zu formulieren und zu vertreten. Durch die künstlerische Auseinandersetzung mit historischen Fotografien wurde ein Bezug zur heutigen Lebenswelt der Jugendlichen ermöglicht und ein Bewusstsein geschaffen, dass die gesellschaftliche Zukunft durch aktuelle Ereignisse und Prozessanstöße gestaltet wird.
Wiederholung erwünscht!
Die Projektstruktur – mit kleinen, gemischten Gruppen, kreativer Freiheit und klarer thematischer Führung – hat sich als äußerst erfolgreich erwiesen. Eine Wiederholung oder Weiterentwicklung ist ausdrücklich gewünscht. Auch die Lehrer*innen zeigten sich begeistert: Viele sahen konkrete Anknüpfungspunkte für den Schulunterricht.
Einem breiteren Publikum wurde das Projekt von den beiden Verantwortlichen Antonia Streule (auf dem Foto rechts) und Julia Henschler (auf dem Foto links) im Rahmen des Deutschen Kinder- und Jugendhilfe-Tages im Mai 2025 vorgestellt – als Beispiel innovativer, künstlerisch-politischer Bildungsarbeit mit Jugendlichen.