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Deutscher Volkshochschul-Verband

Kreative Formate und angepasste Kursstrukturen bestimmen die neue Normalität

Dr. Rüdiger Krüger ist Leiter der vhs Reckenberg-Ems und Geschäftsführer der Fortbildungs-Akademie Reckenberg-Ems (FARE) gGmbH, eines Tochterunternehmens der Volkshochschule. Im Gespräch mit Sascha Rex berichtet er von der vhs-Arbeit im Schatten von Corona.

Herr Dr. Krüger, das Land NRW überraschte die Volkshochschulen mit der kurzfristigen Entscheidung, ab 5. Mai 2020 den Präsenzlehrbetrieb wieder aufnehmen zu dürfen. Wie hat sich die Volkshochschule Reckenberg-Ems darauf vorbereitet?

Dr. Rüdiger Krüger: Wie haben diese Entscheidung erwartet und waren gut gewappnet, da wir schon Anfang Mai einen Hygieneplan entsprechend der Richtlinien erstellt und abgestimmt hatten. Die Maßnahmen bezüglich Raumgrößen, Abstandsregeln, Hygienevorsorge (Sanitäreinrichtungen, Hand- bzw. Flächendesinfektion), Mund-Nasen-Schutz, Markierungen, Hinweisschilder etc. und alle nach diesem Plan notwendigen Vorbereitungen waren am 5. Mai abgeschlossen. Hier mussten und müssen in der Folge nur den jeweiligen offiziellen Änderungen entsprechende Anpassungen vorgenommen werden. 

Wir standen von Beginn der Schließungen an in engem Kontakt mit unseren Lehrenden, die von uns einerseits über die Landes- und Bundesprogramme zu Hilfen in der Solo-Selbständigkeit informiert wurden und zudem mit gutem Erfolg in überbrückende Digitalangebote eingebunden waren. Alle Lehrenden waren so in den letzten April- und ersten Maitagen schon über die aktuelle Situation informiert. Zugleich wurden sie angefragt, ob ihr Angebot unter den „neuen“ Bedingungen weitergeführt werden kann und soll. Ob sie zum Beispiel mit Kleingruppen (in unsere Räume passen nun in der Regel nur weniger als 10 Teilnehmende) und den „neuen“ Regeln sowie von ihrer persönlichen Situation her (Risikogruppe?) ihr derzeitiges Angebot weiterführen oder ein neues gestalten möchten. Die durchgängig positiven Rückmeldungen haben uns sehr gefreut.

Wie sehen die konkreten Schritte aus, das „normale“ Kursprogramm Ihrer Volkshochschule wieder „hochzufahren“?

Wir haben entschieden, nur die schon zuvor als Kleingruppe geführten Veranstaltungen unverändert weiterzuführen. Bei allen anderen wird der Vor-Corona-Kurs gegenüber Teilnehmenden und Lehrenden abgerechnet und eine neue Veranstaltung des „Zwischensemesters“ angeboten, die natürlich – wo immer möglich – auf den früheren Angeboten aufbaut. Das gesamte Vorgehen wurde und wird sowohl mit einer kleinen Marketingkampagne über Presse, soziale Medien und natürlich unsere Homepage vorbereitet und begleitet als auch mit Direktmailings an die im Sommersemester angemeldeten Teilnehmenden. 

Natürlich war das sehr aufwendig, dieses „Zwischensemester“ zusätzlich zum kommenden Wintersemester 2020/2021 – das ja auch die Corona-Regeln mitberücksichtigen muss – in Kufer zu planen; alle Räume mussten mit den neuen Höchstteilnehmerzahlen angelegt werden, alle Veranstaltungsrhythmen bis hinein auf gestaffelte Anfangs-und Pausenzeiten geplant werden etc. Dass wir seit 2009 „eigene“, wenn auch angemietete Räume haben und nicht überwiegend jene in öffentlichen Schulen angewiesen sind, kommt uns dabei jetzt besonders zupass. Konnten wir doch diese Räume nach unserem Hygieneplan und unseren Vorstellungen in allen kritischen Punkten gut vorbereiten.

Die Durchführung von neuartigen Digitalangeboten und die völlige Neuplanung von eigentlich zwei Semestern gleichzeitig führte natürlich bei allen zu mehr Anspannung als üblich. Und wenn Außenstehende dann bemerkten „Ihr habt‘s ja schön, dass die vhs geschlossen ist und ihr nicht arbeiten müsst“, konnte das von uns nur mit einer freundlichen Einladung zum digitalen und jetzt reichhaltigen neuen Präsenzprogramm gekontert werden. 

„Ich hoffe, dass sich auch im Alltag der Mitarbeitenden, Lehrenden und Teilnehmenden der respektvolle Umgang, die Achtsamkeit und Empathie erhält, die wir in dieser Zeit als schützendes Miteinander erfahren haben, als Schlüssel zur Resilienz.“

Dr. Rüdiger Krüger, Leiter der vhs Reckenberg-Ems

Wie werden die Präsenzangebote an Ihrer vhs aussehen? Was bleibt gleich und was ändert sich?

Wir haben erst einmal für die kommenden Wochen bis in die Ferien hinein geplant, überlegen aber auch ein kleines Ferienprogramm für jene aufzulegen, die im Sommer ihren Urlaub zu Hause verbringen. Und wir planen natürlich auch das kommende Wintersemester, denn der „Corona-Wahnsinn“ wir ja noch eine Weile andauern.

Da sind dann manchmal zwei Kurse parallel oder in 14-tägigem Rhythmus einzurichten, um alle vorherigen Teilnehmenden bei nun deutlich geringerer Platzzahl bedienen zu können. Selbstverständlich geht das nicht in allen Fachbereichen und nicht bei allen Veranstaltungsinhalten und -formaten, sodass wir sowohl weniger Veranstaltungen insgesamt als auch weniger Unterrichtseinheiten mit deutlich weniger Teilnehmenden erwarten. Und es werden ganz neue Veranstaltungsformen und -orte erprobt: Gymnastik- und Entspannungskurse im Flora Westfalica Park oder dem Gelände der Rietberger Gartenschau. Kreatives Gestalten, Malen, Plastik, Holzbearbeitung etc. im Freien, im Wald – dort auch ein Vortrag zum „Wolf in der deutschen Literatur“ – oder anderen ausgesuchten, weitläufigen Orten, z.B. Industriebrachen.

Allerdings werden neben dem „normalen“ Kursprogramm natürlich auch viele der neuen und positiv aufgenommenen Digitalformate – überwiegend über die vhs.cloud – parallel weitergeführt. Vor allem bei Vorträgen und Einzelveranstaltungen, die wegen der Besucherzahlen besonders problematisch sind, aber auch in manchen Sprachkursen, im Entspannungs- und Kunstbereich wird der durch die Not ausgeweitete digitale Ansatz weiter gepflegt. Und die ganze Vielfalt von Möglichkeiten des Blended Learning auszuschöpfen, macht natürlich bei kleinen Gruppen mit weniger Präsenzterminen noch mehr Sinn als bisher schon. 

Neue Formate und angepasste Kursstrukturen benötigen vermutlich auch eine andere Finanzierung. Können Sie hier schon erste Veränderungen benennen? 

Das ist das dickste Brett, das zu bohren ist. Gerade wir, als eine im Kern Zweckverbands-vhs mit zwar auskömmlichem, aber gedeckeltem Jahreszuschuss der Kommunen, müssen die höhere Gebühr, die schon in der Vergangenheit für Kurse mit „intensivem Lernen in der Kleingruppe“ installiert (und auch akzeptiert) wurde, aufgrund der neuen begrenzten Zahl an Teilnehmenden nun auch auf die bisher kostengünstigeren Kurse übertragen. 

Die bisherigen Anmeldungen für das Zwischensemester zeigen, dass dies von vielen unserer Kunden im Moment akzeptiert wird. Dies kann nur eine begrenzte Lösung sein, denn Lernungewohnte und/oder -benachteiligte dürfen wir nicht durch zu hohe Gebühren abschrecken oder belasten. Gott-sei-Dank werden wir mit unserem Programm rund um die Offenen Ganztags-Grundschulen als sozial verantwortungsbewusst wahrgenommen. Ebenso mit unseren Maßnahmen im Übergangsmanagement Schule–Beruf sowie der Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Sie alle wurden mit Notbetreuungen oder digital weitergeführt und gehen sukzessive wieder in Präsenzbetrieb über.

Wenn Sie einen Blick in die Glaskugel werfen könnten: Welche positiven Auswirkungen wird die Pandemie auf die vhs der Zukunft haben?

Alles, was wir derzeit neu hinzulernen, neu erproben – seien es die vielfältigen digitalen Möglichkeiten, seien es neue Projekte, Inhalte, Raumkonzeptionen und Veranstaltungsorte oder auch das teilweise tatsächlich positivere Lernen in kleineren Gruppen etc. – kann uns allen sicher in Zukunft neue Möglichkeiten bieten. Und ich hoffe, dass sich auch im Alltag der Mitarbeitenden, Lehrenden und Teilnehmenden der respektvolle Umgang, die Achtsamkeit und Empathie erhält, die wir in dieser Zeit als schützendes Miteinander erfahren haben, als Schlüssel zur Resilienz.

Die Fragen stellte Sascha Rex, Grundsatzreferent für Gesellschaftspolitik und Projektleiter beim DVV.

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