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Deutscher Volkshochschul-Verband

Theorie und Praxis präventiver Bildungsangebote

Sind Volkshochschulen ein geeigneter Ort für Radikalisierungsprävention? Am Rande des DVV-Fachaustausches „Radikalisierungsprävention im Bildungsangebot der Volkshochschulen“ äußerten sich Dr. Beate Blüggel, Direktorin der vhs Aachen, und Umut Akkuş, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FH Dortmund, im Interview.

Im Rahmen des Projekts „Prävention und Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ (PGZ) entwickelt der Deutsche Volkshochschul-Verband Konzepte zur Implementierung von Inhalten der Radikalisierungsprävention in Bildungsprogrammen der Volkshochschulen. Darüber hinaus gilt es, Kursleitende und programmgestaltende Fachkräfte für die Präventionsarbeit weiterzubilden.

Umut Akkuş studierte Soziologie (Dipl.) an den Universitäten Duisburg-Essen und Bielefeld. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Die Jugendkulturelle Dimension des Salafismus aus der Genderperspektive“ der Fachhochschule Dortmund.

Wie funktioniert Präventionsarbeit und wo kann sie Anwendung finden?

Umut Akkuş: Prävention zielt im Grunde genommen darauf ab, unerwünschten Handlungen und Ereignissen zuvorzukommen bzw. zu verhindern, dass solche sich wiederholen. Dies wird unter anderem dadurch erreicht, dass einerseits die Risikofaktoren, die unerwünschtes und problematisches Verhalten hervorrufen, minimiert werden. Andererseits werden jene Schutzfaktoren maximiert, die verhindern sollen, dass solches Verhalten überhaupt oder erneut auftritt.

Im Prinzip eine einfache Formel, die aber in der praktischen Arbeit nicht immer aufgeht. Es stellt sich die Frage, welche Handlungen und Ereignisse aus welchem Grund als unerwünscht und problematisch eingestuft werden und vor allem von wem. Denn die Präventionsziele werden nicht immer von allen beteiligten Akteuren geteilt. Hierzu ist es erforderlich, auch die Innenperspektive der problematisierten Verhaltensmuster bestimmter Akteure zu berücksichtigen. Sind Motive und Ursachen besser nachvollziehbar, können passgenauere Konzepte und Maßnahmen geplant, initiiert und durchgeführt werden.

Wo sind präventive Maßnahmen in Volkshochschulen umsetzbar?

Umut Akkuş: Vor allem Maßnahmen der politischen Bildung können wichtige Anknüpfungspunkte sein, um Personen für politische und soziale Themen zu sensibilisieren und alternative Handlungsoptionen aufzuzeigen. Beim Erstellen der Konzepte ist darauf zu achten, dass die Angebote nicht einseitig, sondern partizipativ gestaltet sind. Workshops im Umfang von ein- oder zwei Tagesseminaren bieten ausreichend Raum, um mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen. In dieser Zeit lassen sich Bedarfe ermitteln, Handlungsempfehlungen und Methoden erklären und Selbsterfahrung ermöglichen.

Wichtig ist, dass bei den Maßnahmen Betroffene und Nichtbetroffene zusammenkommen. So vermeidet man Stigmatisierung und schafft die Möglichkeit, nichtbetroffene Personen zu sensibilisieren. Diese könnten später auch als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren fungieren und zu wichtigen Ansprechpersonen für Betroffene und Fachkräfte werden.

Sehen Sie, neben der politischen Bildung, noch weitere Anknüpfungspunkte im Programm der Volkshochschulen?

Umut Akkuş: Prinzipiell können Maßnahmen überall dort eingebunden werden, wo es einen regen Austausch und eine stetige Präsenz gibt. Ein vertrautes Umfeld sowie Kurse, die regelmäßig stattfinden, können eine sehr gute Grundlage für ein konstruktives Arbeiten sein. Dies trifft zum Beispiel auch auf den Bereich Nachholen von Schulabschlüssen zu.

Dr. Beate Blüggel ist Direktorin der Volkshochschule Aachen.

Welchen Stellenwert hat Extremismusprävention an der vhs Aachen?

Dr. Beate Blüggel: Seit Jahrzehnten spielt dieses Thema bei uns eine besondere Rolle. Im Jahr 2011 beteiligten wir uns am „Lokalen Aktionsplan“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Hier ging es vorrangig um Rechtsextremismus, der in der Region Aachen und in einigen Orten in der Nähe verstärkt auftritt. Eine große Resonanz hierauf ist erkennbar. So gibt es beispielsweise einen „Runden Tisch gegen Rechts“, den der Oberbürgermeister eingerichtet hat. Daran nehmen neben der Volkshochschule viele weitere städtische Akteure teil. Man trifft sich in regelmäßigen Abständen und tauscht sich aus. Die Arbeit der Volkshochschule spielt dabei eine große Rolle. Weiter geführt wurde der „Lokale Aktionsplan“ über die „Partnerschaft für Demokratie“ im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“. Daran sind wir auch im Jahr 2019 beteiligt.

Darüber hinaus gibt es auch Landesprojekte, wie zum Beispiel „NRWeltoffen“, das wir seit 2017 durchführen. Wir nehmen darin Menschen mit Migrationshintergrund in den Fokus, beispielsweise die Frage, wie sie Ziele von Rassismus und Rechtsextremismus werden, aber auch wie es zu extremistischen Haltungen innerhalb von migrantischen Communitys kommt. In den ersten zwei Jahren des Projekts wurden Handlungsempfehlungen entwickelt, die in diesem Jahr ihren Weg in die Praxis finden sollen.

Radikalisierungsprozesse finden vor allem bei Jugendlichen statt. Kann diese Zielgruppe durch vhs-Angebote erreicht werden?

Dr. Beate Blüggel: Die vhs Aachen hat einen sehr großen Schulabschlussbereich mit rund 400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die meisten sind zwischen 18 und 25 Jahre alt. Dort ist es auch geplant, die Inhalte des Kurskonzepts des DVV Projekts zu integrieren. Insofern erreichen wir die Jugendlichen an dieser Stelle ganz direkt. In einer solchen Lehrgangssituation sind die Inhalte von Präventionsprojekten besonders gut vermittelbar. In unseren offenen Kursen ist es natürlich nicht so einfach. Zu jemandem, der sich bei uns für einen Englischkurs anmeldet, können wir nicht sagen: „Lassen Sie uns doch mal über Radikalisierung sprechen.“ Aber wir können Angebote im Bereich der politischen Bildung machen und sensibilisieren, zum Beispiel zu den Fragen „Wie gehe ich mit rechten
Parolen um?“ oder „Wie kann ich mich gegen Stammtischgerede stellen?“. Diese Angebote haben wir jetzt nochmal deutlich ausgeweitet.

Unsere Dozenten der politischen Bildung sind in der Regel auf diesem Gebiet gut qualifiziert. Jetzt bieten wir aber auch Fortbildungen für Kursleitende an, die in anderen Programmbereichen tätig sind. Denn wenn sich bei Veranstaltungen zu ganz anderen Themen Personen mit extremem Gedankengut hervortun und schlecht zu bremsen sind, muss man rhetorisch geschult sein. Das kann schließlich in jeder Form von Unterricht, also auch im Aquarell- oder Nähkurs passieren.

Umut Akkuş: Da wir im digitalen Zeitalter leben, müssen sich insbesondere auch etablierte Institutionen wie die Volkshochschule den immer fortschreitenden technischen Entwicklungen anpassen. Digitale Plattformen und Angebote können Anreize sein, durch die junge Menschen einen Zugang zu den Volkshochschulen finden. In Anlehnung an deren Aktivitäten in den Sozialen Medien können beispielsweise Video- und Fotoprojekte entwickelt werden, die sich auch an Volkshochschulen als Präventionsangebote etablieren. Zielführend können hierbei Kooperationen mit Multiplikatoren aus der Kinder- und Jugendarbeit, aus Vereinen und Jugendtreffs sein.

Worauf ist zu achten, damit Maßnahmen nicht verpuffen?

Dr. Beate Blüggel: Das Zauberwort ist „Multiplikatoren“. Durch sie verbreitet sich das Wissen schneeballartig. Mein Eindruck ist, dass es im Moment viele Initiativen zu diesem Themenfeld gibt. Beispiele sind das Projekt „Wegweiser“ des nordrhein-westfälischen Innenministeriums oder das Konzept der Kommunalen Integrationszentren sowie das bundesweit bekannte Projekt „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Meine Hoffnung ist, dass diese zahlreichen Projekte Menschen tatsächlich sensibilisieren und so auch nachhaltig wirken. Weiterhin wäre es wichtig, dass das Thema, als integraler Bestandteil, Einzug in die Lehrerfortbildung hält. Das wäre sehr hilfreich.

Umut Akkuş: Damit die einzelnen Maßnahmen und Programme wirkungsvolle und nachhaltige Impulse setzen können, sollten sie regelmäßig evaluiert werden. Es braucht eine gute Feedbackkultur. Wir brauchen Kursleitende und pädagogische Fachkräfte, die den Willen haben, sich auch methodisch immer weiter zu entwickeln und die Konzepte und Didaktik der jeweiligen Gruppe anzupassen. Die Volkshochschulen sollten Fortbildungen zum Thema Prävention für ihre eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anbieten, damit diese sich weiter qualifizieren können und neue Methoden kennenlernen. Auch Kooperationen mit wissenschaftlichen Einrichtungen und weiteren Trägern sind sinnvoll, um die eigene Expertise überprüfen und erweitern zu können. |

Die Fragen stellte Johanna Zander, Leiterin des Projektes „Prävention und Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ beim DVV.

Weitere Infos

Bei Fragen zur Umsetzung von Angeboten im Bereich der Radikalisierungsprävention steht Ihnen das Projektteam „Prävention und Gesellschaftlicher Zusammenhalt“ gerne zur Verfügung.

Magda Langholz

Referentin „Politische Jugendbildung“

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