vhs-Kursleitende aus unterschiedlichen Bundesländern nahmen Anfang September 2018 an einer Schulung des PGZ-Projekts in Bonn zum Thema „Radikalisierungsprävention
im vhs-Bildungsangebot“ teil. Ziel der Schulung war es, vhs-Kursleitenden einen Überblick über die Formen des politischen und religiösen Extremismus zu geben und mögliche Radikalisierungsmotive junger Menschen zu thematisieren. Gemeinsam wurde die Frage diskutiert, wie mit radikalen und / oder pauschalisierenden Äußerungen im Kurskontext umzugehen ist. Während der Diskussion konnten vergleichbare Herausforderungen an unterschiedlichen vhs-Standorten herausgearbeitet werden.
Aufbauend auf dieser Diskussion wurde das Kurskonzept „Was bedeutet RADIKAL?!? – Thematisierung von Radikalisierungsmotiven“ vorgestellt. vhs-Kursleiter*innen waren aufgefordert, einzelne Übungen des Kurskonzepts durchzuführen und eine potenzielle Umsetzung hinsichtlich möglicher kontextabhängiger Herausforderungen zu evaluieren. Sie erhielten abschließend eine Handreichung, welche die Umsetzung des Kurskonzepts mit Hilfe eines Ablaufplans beschreibt, Hintergrundinformationen kompakt zusammenfasst und zahlreiche Verweise auf weitere Anregungen für die pädagogische Praxis auflistet.
Im Anschluss an die Schulung wurde das Kurskonzept von den vhs-Kursleitenden an die lokalen Kontextbedingungen sowie die Bedürfnisse der Teilnehmer*innen angepasst. Eine Erprobung des Kurskonzepts fand an fünf Standorten in Deutschland statt und wurde durch das Team des PGZ-Projekts begleitet.

Im Berufsbildungszentrum der vhs Castrop-Rauxel wurde das Kurskonzept mit Teilnehmer*innen der Jugendwerkstatt durchgeführt. Diese sind zwischen 16 und 26 Jahren. Im Rahmen der Jugendwerkstatt können die jungen Erwachsenen Bildungsangebote im handwerklichen und hauswirtschaftlichen Bereich wahrnehmen. Als niedrigschwelliges Angebot spricht die Jugendwerkstatt insbesondere junge Erwachsene aus bildungsbenachteiligten Familien und mit zum Teil brüchigen Biographien an.
Das Kurskonzept wurde von einer Kursleiter*in in Zusammenarbeit mit der Sozialpädagogin des Berufsbildungszentrums umgesetzt. Die Sozialpädagogin konnte die Kursleitende unterstützen und war als Ansprechperson für die Jugendlichen präsent.

Die Kursleitende aus Castrop-Rauxel entschied sich, eine zusätzliche Kurseinheit zur Auflockerung der Atmosphäre zwischen den Jugendlichen zu gestalten. Sie griff auf das Spiel „Titanic / Piratenschiff“ aus der Handreichung „Spiel dich frei!“ zurück (vgl. web27). Vergleichbar ist dieses mit dem Spiel „Reise nach Jerusalem“.

Im Anschluss wurde die Übung „Vielfaltbarometer“, ebenfalls aus der Handreichung „Spiel dich frei!“, angewendet (vgl. ebd.). Ziel dieser Übung ist die Sensibilisierung der Teilnehmenden für das Thema Vielfalt, unterschiedliche Arten von Vorurteilen und Rassismus sowie die Stärkung von tolerantem Verhalten gegenüber Andersdenkenden.

In Castrop-Rauxel wurden im Anschluss an diese Übung weitere Vorurteile gesammelt, welchen die jungen Erwachsenen in Ihrem Alltag begegnen. Als kritische Anmerkung im anschließenden Feedback-Gespräch verwies die Kursleitende auf die Schwierigkeit, Sätze zu formulieren, welche in die Mitte der Linie eingeordnet werden. In der Erprobung seien die Aussagen meist ganz klar einer Kategorie zugeordnet worden.

Nach Einschätzung der Kursleitenden und der anwesenden Sozialpädagogin wurden die gruppendynamischen Übungen als Einstieg äußerst gut aufgenommen, weshalb einer Umsetzung des Kurskonzepts nichts entgegenzusetzen war.

Mit Hilfe einer Plakatvorlage sollten sich die jungen Erwachsenen in der ersten Kurseinheit mit der Bedeutung des Begriffs RADIKAL auseinandersetzen. Woher kennst du den Begriff? Was verbindest du mit dem Begriff? Was möchtest du wissen? Zusätzlich zu diesen Fragen forderte das Arbeitsblatt die jungen Erwachsenen auf, den Begriff RADIKAL zu erklären. Ziel war nicht, eine eindeutige Antwort zu finden, sondern zunächst einmal ins Gespräch zu kommen und sich über unterschiedliche Assoziationen auszutauschen. Im Vordergrund stand das Gespräch über den Begriff und die Förderung der Amibuitätstoleranz der jungen Erwachsenen. Rückblickend bewertet die Sozialpädagogin die Begriffserklärung als die schwierigste Aufgabe dieses Arbeitsblatts.

Im Rahmen der zweiten Kurseinheit wurde der Film „RADIKAL“ vom Hessischen Kompetenzzentrum geschaut. Anhand eines Arbeitsblatts sollten die jungen Erwachsenen die Motive und Erfahrungen des Protagonisten Simon herausarbeiten, welche sein radikales Verhalten auslösen. Bedeutsam war insbesondere die Frage nach den alternativen Handlungsoptionen des Protagonisten. Am Ende des Films ist die von Simon empfundene Wut nicht verschwunden. Er hat lediglich einen Weg gefunden, mit dieser umzugehen. Er engagiert sich ehrenamtlich in einem Fußball-Verein.
Im Rahmen der Kurseinheit 2 berichteten die jungen Erwachsenen von eigenen Erfah- rungen mit Wut und Frustration. Ein Weg mit diesen Gefühlen umzugehen, sei sich sportlich zu betätigen. Es wurde das Bedürfnis nach Ruhe geäußert und der Austausch mit Freunden als Lösungsweg hervorgehoben. Die jungen Erwachsenen äußersten sich gleichzeitig kritisch hinsichtlich der Glaubhaftigkeit des Films. Von einigen wurde angemerkt, dass der Protagonist in der Realität anders gehandelt hätte.
Um das Thema auch in anderen Bereichen des Berufsbildungszentrum der VHS Castrop-Rauxel aufgreifen zu können (falls dies mit Blick auf Äußerungen und / oder Verhaltensweisen der jungen Erwachsenen nötig sei) wurde der Film im Vorfeld bereits mit allen Kolleg*innen angeschaut und gemeinsam besprochen. Durch diese Vorgehens- weise können die Pädagog*innen der anderen Fachbereiche ebenfalls adäquat reagieren und mögliche Verunsicherungen nachhaltig aufgreifen.

Die Kursleitende verzichtete auf die Durchführung der Kurseinheit 3 im Sinne der Hand- reichung. Diese hätte die Übung „Markt der Möglichkeiten“ vorgesehen. In Castrop-Rauxel beinhaltete die Umsetzung der letzten Kurseinheit den Besuch eines Indoor-Fußballplatzes. Durch die Verknüpfung des Films mit der Lebensrealität der jungen Erwachsenen schaffte die Kursleitende eine Selbsterfahrung für die jungen Erwachsenen, die nachhaltiger sein wird, als jedwede theoretische Vorstellung von lokalen Freizeitmöglichkeiten.

Frustration und Wut sind Gefühle, welche den Lebensalltag von jungen Erwachsenen in offenen Such- und Orientierungsprozessen bestimmen können. Kritische Themen anzu- sprechen und die eigenen Erfahrungen zu reflektieren, können helfen, individuelle Lösungs- wege zu erarbeiten. In Castrop-Rauxel wird die Erprobung des Kurskonzepts als Einstieg in die Auseinandersetzung mit herausfordernden Themen gesehen. Geplant ist bereits die Umsetzung weiterer Kurskonzepte des PGZ-Projekts für die Teilnehmenden der Jugend- werkstatt sowie der Schüler*innen der Schulabschlusskurse im Berufsbildungszentrum.